Ich glaube, ab einem gewissen Punkt weiß man irgendwie, dass die Dickdarmentfernung und das Stoma die einzigste Option für einen sind. Aber solange man dieses Gefühl noch nicht hat und es noch keinen dringlichen Grund für die OP gibt sollte man unbedingt noch warten. Ich persönlich stehe der OP und dem Stoma mittlerweile sehr sehr positiv gegenüber - gerade weil dieser Eingriff minimalinvasiv möglich ist. Aber das muss jeder wirklich für sich selbst entscheiden. Wenn man nicht davon überzeugt ist, im Vorfeld alles gemacht zu haben oder man das Gefühl hat, dass man doch noch Weg A oder B probieren sollte, dann wartet mit Eurer Entscheidung. Es ist ein sehr großer Schritt der so viel verändern kann. Und nicht nur euer Körper muss mit dieser Entscheidung klar kommen sondern auch euer Kopf, der euch zukünftig immer wieder daran erinnern muss: "Ja, du hast alles richtig gemacht, es war die richtige Entscheidung!"
Ich wusste eigentlich schon lange vorher, dass die OP mein einziger Ausweg sein würde. Aber dennoch konnte ich mich lange noch nicht zu dieser Entscheidung durchringen. Zu viel Angst vor allem was dann auf einen zukommen wird. Und wenn man dann im Internet recherchiert, in Foren über Berichte stolpert in denen zum großen Teil nichts Gutes geschrieben wird, dann verwirft man seinen Mut es zu tun ganz schnell wieder. Foren sind gut, Foren sind wichtig, aber letztlich sollte man sich vor Augen halten, dass die meisten Personen in Foren schreiben, weil sie ein Problem haben und sich Rat holen möchten. Jemand, bei dem alles fein ist, der schreibt in der Regel nicht ins Forum. Warum auch? Dem gehts ja gut. Aber schön wäre es schon wenn man endlich mehr positives als negatives lesen würde.
Aber nun gut, deshalb auch dieser Beitrag: Meine Stomazeit war super! Die OP verlief nach Lehrbuch. Keine Komplikationen, keine Probleme, keine Beschwerden, nix! Würde ich es wieder tun? Definitiv ja!
Das was mich zum Schluss in meiner Entscheidung bestärkt hatte, war die Tatsache, dass ich in einem der übelsten Schübe seit Beginn meiner Colitis war. Vier Wochen vor der OP musste ich alle Medikamente absetzen damit die Immunsuppressiva die Wundheilung nicht negativ beeinflusst. Ich hatte Remicade, Azathioprin und Kortison intus und all das musste aus dem Körper raus bevor der große Tag kam. Ich war zu schwach zum Laufen, ich bin nicht mehr aus dem Haus gekommen und habe die Nächte im Bad auf dem Duschvorleger verbracht. Ganz ehrlich: das ist doch nicht gesund. Als meine beste Freundin mich einen Tag vorher ins Krankenhaus gefahren hat, konnte ich nicht einmal mehr reden weil ich einfach so durch war. Alle Reserven waren aufgebraucht. 8 Kilo in 4 Wochen. Und obwohl die Medikamente gefühlt vorher nie richtig angeschlagen haben, haben sie wohl doch irgendwie einen der Teil der Colitis unterdrückt, was mir erst dann wirklich bewusst geworden ist.
Meine Kolektomie war am 29. Januar. Ich sollte bereits einen Tag vorher ins Krankenhaus — ein letztes Mal abführen. Hibbelig, erschöpft und dank einer Beruhigungstablette bin ich dann doch endlich eingeschlafen. Am nächsten Tag war um 7:00 Uhr Visite und anschließend ging es eigentlich schon in die Vorbereitung. Insgesamt 4 1/2 Stunden war ich in Narkose und habe von den ganzen Bemühungen der Ärzte, Professoren und Schwestern nichts mitbekommen. Den Tag über, nach der OP, habe ich nicht so viel mitbekommen. Ich habe eigentlich nur geschlafen und bin manchmal wieder aufgewacht weil mein Alarm losgegangen ist. Mein Blutdruck ist immer wieder abgefallen. Nach einer Nacht unter Beobachtung auf der Intensiv durfte ich endlich wieder in mein Zimmer. Ich war müde, ich war durch, aber an sich ging es mir gut und der Beutel hat sich nicht so schlimm angefühlt wie ich befürchtet hatte. Ungewohnt, aber nicht schmerzhaft.
Die Tage nach der OP hatte ich keinerlei Schmerzen. Jeder hat Angst vor der „bösen“ PDA bzw. PDK. Ich auch, bin da der totale Angsthase. Aber im Nachhinein völlig unbegründet. Das Legen der Nadel habe ich gar nicht gespürt. Man muss sich den Katheter nicht legen lassen, aber er erleichtert einem die Genesungsphase nach der OP. Der Körper hat echt genug mit der OP zu tun um sich noch zusätzlich mit den Schmerzen herumzuschlagen.
Aber es war nicht alles super, das muss ich zugeben. Am Montag bin ich operiert worden und am Mittwoch wollte ich endlich mal aufstehen und ins Bad. Neuen Schlafanzug anziehen, ein bisschen waschen, sich einfach wieder wie ein Mensch fühlen. Zähne putzen im Bett ist auf die Dauer einfach nichts. Kaum aufgerichtet hat sich mein Kreislauf verabschiedet und ich lag wieder im Bett.
Am nächsten Tag haben wir bis nach dem Frühstück gewartet. Mein Blutdruck war diesmal nicht so niedrig und ich fühlte mich gut. Aufgesetzt, Beine am Bettrand baumeln lassen, ich war optimistisch. Als ich aufgestanden bin war eigentlich alles in Ordnung. Aber nach drei Schritten bin ich ohnmächtig zusammengebrochen. Das nächste an das ich mich erinnern kann, sind die Schwestern, Pfleger und Ärzte, die um mich herum gewuselt sind und ich schon wieder im Bett gelegen habe. Ich weiß nicht warum mir in dem Moment mehr die Tränen gekommen sind. Weil ich zusammengebrochen bin oder weil ich nicht ins Bad konnte um mich frisch zu machen.
Das war aber auch schon die einzigste Komplikation der ganzen OP. Und hier muss ich einfach zugeben. Ich habe nicht auf mich aufgepasst. Die ganze Zeit vorher hören und lesen wir noch: „Viiiiiiiel trinken!“ Und irgendwie ist das komplett untergegangen. Die Schwestern haben immer fleißig dokumentiert, was ich an Flüssigkeit verloren habe (Stomabeutel, Blasenkatheter, Wundbeutel) aber niemand hat aufgepasst wieviel ich eigentlich trinke. Wer den halben Tag schläft kann ja schonmal nicht die Welt trinken. Und wenn ich wach war hab ich vielleicht eine Schnabeltasse Tee getrunken. Punkt. Deshalb mein Appell: trinkt soviel ihr könnt und alles wird gut.
Ich habe daraufhin täglich zwei Liter Flüssigkeit über den Tropf bekommen und auf einmal ging es mir besser. Ich konnte endlich aufstehen. Von Tag zu Tag wurden meine Runden länger und ich wieder fiter und mobiler. Was so ein bisschen Flüssigkeit ausmachen kann. Verrückt!
Mit dem Beutel hatte ich gar keine Berührungsängste. Ich hatte mir vorher schon das eine oder andere Video im Internet angesehen und war über mein Knubbelchen dann doch sehr positiv überrascht. Zum Geruch: keiner riecht was! Außer vielleicht wenn der Beutel geleert wird. Und gerade am Anfang, wenn der Darm sich noch einspielen muss riecht es vielleicht etwas strenger. Aber das vergeht. Ganz ehrlich! Die Schwestern haben einen speziellen Schaum, der den meisten Geruch beim Leeren neutralisiert und im normalen Leben kann man den Geruch super über die Nahrung steuern. Und es gibt ja auch noch Fenster zum Lüften — eine tolle Erfindung.
Insgesamt war ich 12 Tage im Krankenhaus. Und das was ich schon dort genossen habe, war die Tatsache, dass ich meine Serien ohne Unterbrechung anschauen könnte. Ich musste nicht zehnmal auf Pause drücken um während einer Folge auf die Toilette zu rennen. Ich konnte endlich wieder durchschlafen ohne alle zwei Stunden vom Ulceröschen aus dem Schlaf gerissen zu werden. Und zum Ende meines Aufenthaltes habe ich schon fast wieder normal essen können. Zwar in Kombination mit zig Bananen, aber immerhin.
Positives denken hilft! Ich hoffte einfach ganz fest, dass es klappt! Ich wusste, dass die OP mir mein Leben zurück geben kann. Die Ärzte und Schwestern waren toll. Wer mir aber den meisten Mut gemacht hat, waren die Stomaschwestern, die mir alles über meinen Beutel und mein Stoma erklärt haben. Mir auch Tipps bei der Ernährung gegeben haben. Ich war so stolz als ich mich das erste Mal komplett selbst versorgt habe. Duschen ohne den Beutel, danach den Beutel anbringen - in dem Moment wusste ich, dass ich das packe!
Ich hatte Angst vor den Schmerzen, vor dem Beutel, den Narben und der Veränderung in meinem Leben. Letztlich kann ich sagen, dass ich es nicht besser hätte machen können. Es lief wie es soll. Nach Lehrbuch. Als ich zu Hause war habe ich mich noch gute zwei Wochen geschont. Danach habe ich schon fast alles wieder machen können.
Jeder muss diese Entscheidung sich operieren zu lassen ganz alleine treffen. Ich kann nur sagen, dass die OP mir mein Leben wieder gegeben hat. Ich kann ohne „Notfalltasche“ aus dem Haus. Ich kann einen Spielfilm auf einmal durchschauen, einem Stau sehe ich gelassen entgegen und ich kann fast alles wieder essen. Ich musste damals meinen Traumjob an den Nagel hängen und habe wegen dem Ulceröschen fat 1,5 Jahre im Homeoffice gearbeitet. Und nun: endlich wieder soziale Kontakte zu knüpfen und Verabredungen einhalten zu können sind für mich die Bestätigung, dass es das richtige war.
Warum mir dieser Artikel so wichtig ist? Weil ich zeigen möchte, dass das Stoma eine Chance sein kann. Natürlich hätte es auch bei mir anders laufen können. Ist es aber nicht. Es lief alles so wie es sollte. Es ist ja nicht so als hätten wir Ulceröschen Kämpfer und Kämpferinnen nicht auch mal ein bisschen Glück verdient, nicht wahr?
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Nina (Donnerstag, 11 Oktober 2018 21:38)
Hallo,
Vielen Dank für deinen ausführlichen Bericht! So wie du schon erwähnt hast, findet man selten etwas positives dazu im Internet. Das macht mir die Situation gerade schwer ob ich mich operieren lassen soll oder nicht. Ich leide auch seit über 6 Jahren unter einem chronisch aktiven Verlauf der Colitis ulcerosa. Meine Frage ist: Hattest du vor deiner Operation, abgesehen von den Darmproblemen und abgesehen von den aktuten Schüben, auch mit ständiger extremer Erschöpfung zu kämpfen gehabt und war es nach der der Entfernung des Dickdarms damit vorbei?
LG �
Lotte (Freitag, 12 Oktober 2018 17:24)
Hallo Nina,
vielen Dank für deinen Kommentar. Ich hatte auch ganz lange überlegt, ob die OP für mich das richtige ist. Meine Ärztin hat immer gesagt, umso jünger der Patient, desto besser die Genesung. Das variiert natürlich von Patient zu Patient, aber ich dachte mir, dass es eigentlich nicht mehr schlimmer werden kann. Ja, ich hatte nicht nur die Darmbeschwerden sondern war durchgängig erschöpft. Der Blutverlust und die schlechten Werte haben mir echt sehr zugesetzt. Ich war über ein Jahr im Homeoffice weil ich nicht mehr arbeiten konnte. Der Körper kämpft ja permanent gegen die Entzündung an. Das habe ich jetzt nicht mehr und es ist ein Segen. Soziale Kontakte endlich wieder zu pflegen, auszugehen und das Leben zurück zu haben. Melde dich gerne wenn du noch Fragen haben solltest.
Liebe Grüße
Lotte
Christiane (Donnerstag, 23 Januar 2020 08:47)
Nach 15 Jahren übler Quälerei Und Medikamenten-Odyssee habe ich nun endlich die Entscheidung getroffen die Kolektomie machen zu lassen. Ich warte ungeduldig auf den OP-Termin. Danke für diesen tollen Bericht, der mir soviel Mut und Zuversicht gegeben hat.